Wie erleben wir den Streik in Bolivien?

Wie du vielleicht in meinen Instagram Stories oder auch über andere Medien mitbekommen hast, befindet sich Bolivien gerade in einem politischen Konflikt. Warum es diesen gibt und wie wir ihn erlebt haben, erfährst du in diesem Blogartikel. Wenn du weitere Fragen dazu hast, freue ich mich auf deine Nachricht. Alle Informationsquellen sind ganz unten angegeben.

 

Warum kam es zu dem Streik?

Aktuell hat in Bolivien die soziale Partei im Parlament die Mehrheit und stellt den Präsidenten. Diese tritt, wie auch in Europa, für die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie für die Rechte der indigenen Bevölkerung ein. In der Opposition befindet sich aktuell die konservative Partei. Sie vertritt die Interessen der Wirtschaft.  

Für das Vorbereitungsseminar habe ich bereits im Frühjahr etwas zur politischen Lage Boliviens recherchiert. Das Departement Santa Cruz (in dem auch San Ignacio liegt) ist das größte und wirtschaftlich wichtigste Departement. Der Gouverneur von Santa Cruz ist deshalb auch von der konservativen Partei, die eben in Santa Cruz die Mehrheit hinter sich hat.

Ursprünglich wäre für dieses Jahr eine Volkszählung angesetzt gewesen. Diese findet alle zehn Jahre statt und regelt die Verteilung der Sitze im Parlament und auch die Verteilung des Budgets. Hat ein Departement also mehr Einwohnerinnen und Einwohner, bekommt es mehr Parlamentssitze und Geld. Das würde auf Santa Cruz zutreffen, weil dort die Bevölkerung mehr zunimmt als in den anderen Teilen Boliviens.

Aufgrund der COVID-19 Pandemie und der schlechten technischen Möglichkeiten wurde die Volkszählung von der Regierung auf das Jahr 2024 verschoben. Im Jahr 2025 findet in Bolivien wieder die Präsidentschaftswahl statt. Sollte die Volkszählung jedoch 2024 stattfinden, ist davon auszugehen, dass die Verteilung der Parlamentssitze nicht nach dieser Volkszählung durchgeführt wird.

Die Opposition fordert daher die Volkszählung 2023 abzuhalten. Sie würden dadurch wahrscheinlich Sitze und Budget für ihr stimmenstärkstes Departement Santa Cruz gewinnen und somit im Parlament mehr Einfluss haben.

Um dies zu erreichen, wurde von der konservativen Partei zum Streik aufgerufen. Die meisten Streiks finden somit im Departement Santa Cruz statt. Natürlich streiken die Leute auch anderswo, aber weit weniger als hier. Die Auswirkungen sind trotzdem für das ganze Land zu spüren, da im Hochland kaum Landwirtschaft betrieben werden kann und somit viele Lebensmittel aus Santa Cruz kommen.  

 

Wie ist der Streik für uns?

Vor drei Wochen haben wir erfahren, dass wir nicht nach Santa Cruz fahren können, weil es bei den Überlandbussen bloqueos (Blockaden) gibt. Das ist erstmal nichts Außergewöhnliches und kommt in Bolivien öfter vor, dauert aber meist nur einen Tag.

Zwei Tage vor dem Beginn des Streiks haben wir dann über andere Freiwillige aus Österreich erfahren, dass wir Lebensmittel kaufen sollen, weil die Geschäfte nicht offen haben werden. Nach Nachfrage bei einigen Lehrerkollegen, wurde uns dann gesagt, dass dies wahrscheinlich nicht notwendig sei.

Am Tag vor dem Beginn wurden wir dann doch sehr spontan angewiesen, uns mit Lebensmittel einzudecken, weil es sein kann, dass man nicht alles bekommt. Daraufhin war Benni am Nachmittag einkaufen, um unsere Vorräte aufzustocken. Es wurde auch immer gesagt, dass der letzte Streik 21 Tage gedauert hat und man nicht sagen kann, wie lange es diesmal geht.

Unsere Vorräte

Am Samstag den 22. Oktober um 00:00 Uhr begann dann der Streik offiziell. Für uns machte sich das als erstes dadurch bemerkbar, dass keine Restaurants und Marktstände mehr offen hatten und dass die Leute begonnen haben die Straßen zu sperren, damit keine Fahrzeuge mehr durchfahren können. Das Wochenende war aber sonst noch nicht so viel anders als sonst.

Die Blockaden mit verschiedensten Dingen

Am Montag bin ich dann am Morgen in die Schule gekommen und es war niemand da. Nach und nach sind dann einige Lehrerinnen und Lehrer eingetrudelt, wobei auch niemand wusste, wie der Unterricht genau sein wird. Nach einigen Diskussionen haben wir uns dann auf normalen Unterricht geeinigt (dies wurde danach auch vom Ministerium vorgeschrieben, dieses ist wie bereits erwähnt von der nicht streikenden politischen Partei).

Das Einzige was als Zeichen des Protests geblieben ist, wir tragen keine formale Kleidung. Während des Streiks sind nur lange Hosen vorgeschrieben. Normal müssen wir mit dunklen Hosen, Schulpoloshirt und Anzugschuhen kommen, am Montag sogar mit Hemd. Jetzt findet am Montag zwar der Acto Civico statt, jedoch in Zivil.

Als wir an diesem Montag nach der Schule zu einem Freund Mittagessen fahren wollten, haben wir erst das Ausmaß des Streiks gesehen. Fast alle Straßen waren nach jeglichen Möglichkeiten blockiert und wir sind mit dem Moto nicht weiter als zwei Querstraßen von der Schule gekommen. Alle Geschäfte hatten geschlossen und die Leute saßen auf den Straßen und bewachten die Blockaden.


So sehen viele Straßen aktuell aus

Und so ging es dann die nächsten Tage weiter. Am Vormittag haben einige Geschäfte geöffnet zum Einkaufen oder an speziellen Tagen der ganze Markt. Am Nachmittag ist alles geschlossen und die Straßen werden blockiert.

 

Was sind die Auswirkungen des Streiks?

Bezüglich der wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Streiks kann ich aktuell noch nichts sagen, da ich bei der Recherche auf keine konkreten Daten gestoßen bin. Alle Auswirkungen, die ich jetzt anspreche, sind daher nur auf die Situation in San Ignacio zutreffend, beziehungsweise habe ich einige Informationen aus dem nationalen Fernsehen und von Freunden, wie es in Santa Cruz abläuft.

Einige Lebensmittel sind teurer oder werden gar nicht mehr verkauft. Rindfleisch kann man hier kaum noch kaufen, bei Tomaten hat sich der Preis verfünffacht (von 3 bs/kg auf 15 bs/kg), generell das Gemüse ist teurer geworden. Eier sind in den Geschäften immer ziemlich schnell ausverkauft, bleiben vom Preis aber gleich.

Viele Personen haben in Bolivien keine Küche und essen nur auswärts. Da dies jetzt nicht möglich ist, gibt es einige Essgemeinschaften in der Nachbarschaft. Bei uns kochen und essen zum Beispiel die Freiwilligen aus Österreich, die hier in einer anderen Institution arbeiten und immer wieder auch ein Lehrerkollege.

Beim gemeinsamen Kochen

Weil keine Geschäfte und Restaurants offen haben, fehlt vielen kleinen Familienbetrieben 100% des Einkommens. Deshalb haben auch jetzt in der dritten Woche viele zum Mitnehmen offen, damit sie über die runden kommen (man kann sich das vorstellen, wie bei uns im ersten Lockdown).

Weil es in Santa Cruz zu Demonstrationen kommt und die Leute Blockaden durchbrechen, sind einige Personen, die normal dort leben, hier bei ihren Familien. Die Situation ist in San Ignacio sehr entspannt und es gibt keine Ausschreitungen. Für mich ist das toll, weil viele junge Leute, die normal in Santa Cruz studieren, hier sind und man etwas zusammen unternehmen kann.

Weil nur wenige Tanklastwagen wegen der Blockaden nach San Ignacio kommen, wartet man an der Tankstelle ziemlich lange. Freunde von uns haben am Sonntag von 8 Uhr morgens bis 14:15 Uhr gewartet. Damit alle etwas Treibstoff bekommen, ist die maximale Abgabemenge pro Auto Benzin oder Diesel im Wert von 120 bs (ca. 32 Liter).

Die Schlange vor der Tankstelle

Einige hundert Meter weiter hinten 

Mach dir keine Sorgen

Weil ich von einigen als Reaktion auf meine Instagram-Stories gefragt wurde, ob alles in Ordnung sei, möchte ich hier nochmal etwas wichtiges betonen. Wir haben hier genug Essen, es wird nicht knapp. Es gibt hier keine Demonstrationen, sondern nur die Straßenblockaden (man kann sich also nur zu Fuß  fortbewegen).

Ein Bild vom Markt in dieser Woche

Für mich hat die Sache sogar den positiven Effekt, dass mehr junge Leute in San Ignacio sind und man dadurch besser Freundschaften schließen kann. Die Leute sind derzeit auch (gefühlt) netter als sonst und laden viel schneller zum Essen oder einer Aktivität ein. Sie haben natürlich auch mehr Zeit zum Kochen und für anderes.


https://amerika21.de/2022/10/260753/volkszaehlung-spaltet-bolivien-streik

https://www.citypopulation.de/de/bolivia/cities/

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